Mein erster Drink campari soda

Mein erster Drink

Auf Jugendliche wirken Medien stärker als Aufklärung. 

Das erste Mal, dass ich bewusst Alkohol trank, um Probleme zu lösen, muss mit zwölf gewesen sein. Ich hatte meinen allerersten Liebeskummer. Er war fünfzehn, versprach mir, wir würden später heiraten, zwei Kinder bekommen, und sobald er seinen Führerschein hätte, würden wir in einem schneeweißen VW Cabrio in unsere gemeinsame Zukunft aufbrechen. Ich war schwer beeindruckt, sehr verliebt – und fiel aus allen Wolken, als drei Monate Schluss machte, weil er zwei neue Freundinnen hätte.

Was tun bei Kummer? Alkohol trinken – wie die Erwachsenen

Meine Mutter verstand, dass nur meine Cousine in dieser Situation helfen konnte, also holte sie sie zu mir. Da wir beide absolut keine Ahnung hatten, wie man mit Liebeskummer umgeht, beschlossen wir einfach, das zu tun, was wir schon oft bei Erwachsenen in Filmen und der Werbung gesehen hatten: Alkohol trinken. Wir schnappten uns eine seit Ewigkeiten unberührte Flasche Campari aus dem Kühlschrank und versuchten, uns zu betrinken. Der erste Schluck schmeckte so abscheulich, dass wir ihn sofort wieder ausspuckten – und entschieden uns dann lieber, Pfannkuchen zu essen.

Problem gleich Alkohol gleich Lösung. Oder?

Als Kind war ich von den „coolen“ älteren Mädchen beeindruckt, die feiern konnten, als gäbe es kein Morgen. Ich wollte so sein wie sie. In Serien sah ich Frauen und Männer, die sich anmutig ein Glas Whiskey einschenkten. Mein junges Ich speicherte diesen Anblick ab – Problem gleich Alkohol, gleich Lösung. In meiner kindlichen Vorstellung bedeutete das: so sieht Erwachsensein aus.

Wenn ich zurückblicke, frage ich mich: Wie viele Kinder und Jugendliche gibt es wohl, die ein ähnliches Bild von Alkohol haben wie ich damals? Sollten wir uns nicht dringend hinterfragen, warum Alkohol in Filmen und Werbung überhaupt eine so große Rolle spielt? Was, wenn das Bild von Freiheit und Glück, das Alkohol uns vorgaukelt, genau die Falle ist, in die so viele von uns tappen?

Coole Leute trinken Alkohol – und sie machen es „richtig“

Als Teenager gab es für mich kaum Aufklärung zum Thema Alkohol. Klar, wir wussten, dass Alkohol nicht gut ist. Aber wie schlimm konnte es wirklich sein, wenn doch alle um uns herum tranken? Eltern, Lehrer, Verwandte – und vor allem unsere Vorbilder aus Film und Fernsehen. "Kenn dein Limit" – diese Plakate sollten uns warnen, aber als ich sie zum ersten Mal sah, war es für mich längst zu spät.

Woher sollte ich mein Limit kennen?

Besonders, wenn ich aus einer Familie komme, die bereits durch Sucht belastet war?

Was sollte mein „richtiger“ Umgang mit Alkohol sein?

Die Plakate vermittelten mir eher das Gefühl, dass es an mir liegt, „richtig“ zu trinken. Und wenn ich es nicht schaffe, dann, weil ich mich nicht unter Kontrolle habe? Diese Botschaft hat mich nie wirklich erreicht. Ich sah keinen Zusammenhang zwischen den Warnungen und meinem eigenen Trinkverhalten. Das war doch eher für diejenigen gedacht, die schon mal eine Alkoholvergiftung hatten oder betrunken aufgefallen waren, oder? Damit hatte ich doch nichts zu tun... dachte ich.

Aufklärung und Beratung in meiner Jugend – zu spät und wenig beeindruckend

Projekttage zum Thema Drogen, Beratungsstellen-Besuche, die Ansage, dass Alkohol die Einstiegsdroge Nummer eins sei – all das kam für uns viel zu spät. Die meisten von uns hatten schon längst das erste Glas getrunken, und für manche von uns gehörte Alkohol inzwischen zum Wochenende einfach dazu. Ausgehen, trinken, dazugehören – das war einfach Teil des Erwachsenwerdens. Hinterfragen? Das tat keiner.

In der achten Klasse saßen wir schließlich bei der Drogenberatung, doch weder die Warnungen noch die ernsten Blicke der Mitarbeitenden der Suchtberatung konnten mich beeindrucken. Das Gefühl der Gefahr? Nicht da. Mittlerweile probierten wir auch mal Gras, aber das war doch nur „Spaß“, oder? Und Alkohol – der war schließlich völlig normal. Alle um uns herum tranken, also konnte er nicht wirklich schlimm sein. Die Wahrheit über Alkohol begriff ich erst, als ich fast 30 Jahre später in der Suchtklinik landete und dort endlich die Realität dahinter erkannte.

Muss Alkohol in den Medien so präsent sein?

Was wäre, wenn Alkohol aus Filmen und Werbung verschwände? Würde uns dann wirklich etwas fehlen? Würde das einer guten Geschichte schaden? Könnten wir nicht auch ohne Alkohol feiern und uns frei fühlen?

Vielleicht, wenn wir als Gesellschaft umdenken und aufhören, Alkohol als Selbstverständlichkeit zu sehen, haben die nächsten Generationen die Chance, aufzuwachsen – ohne das Gefühl, trinken zu müssen, um dazuzugehören und erwachsen zu sein.